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1920 postulierte der Nobelpreisträger Hermann Staudinger, dass es Moleküle gibt, die mehr als 100.000 Atome umfassen könnten. Derartige Moleküle sollten Makromoleküle genannt werden. Damit stieß Staudinger nicht nur auf offene Ohren, sondern auch auf erbitterten Widerstand – wie sollte es auch anders sein. Abgesehen davon, dass solche Moleküle schlicht unmöglich seien, würde sich auch kein Mensch für so etwas interessieren. Hätten die Bedenkenträger recht gehabt, gäbe es heute keine Diskussion über Plastik allerorten. Aber auch hier wurde irgendwann deutlich, dass sich ganz neue Möglichkeiten für Materialien ergeben. 1953 wurde Staudinger für seine wegweisenden Arbeiten zur makromolekularen Chemie mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.

Und heute?

Heute werden Rufe nach einem Verbot von Kunststoffen und Appelle an ein kunststofffreies Leben immer lauter. Die Menschen, die dies vertreten, benutzen dabei sicherlich ihren Computer/Laptop/Tablet/Smartphone. Nun, da müssten sie dann künftig wohl drauf verzichten, denn unter anderem das Gehäuse besteht auch Kunststoff. Das würde die Kommunikation und die Appelle sicher schwieriger werden lassen. Außerdem müssten wir auf Autos verzichten, denn da ist jede Menge Kunststoff drin. Das dient dem Klima? Vielleicht, aber wir müssten auch auf Fahrräder, wie wir sie kennen verzichten, auf Sportschuhe und Funktionskleidung für den Sport. Ich wage zu bezweifeln, dass die Polymerhasser gern wieder gewalkte Wollkleidung tragen möchte und in Holzpantinen Joggen gehen will. Auch mit dem Wohnen wird es schwierig. Fenster können natürlich aus Holz sein (wenn alle Menschen wieder Holzfenster hätten, wäre das wirklich ökologisch?). Mit Dämmung würde es schon deutlich schwieriger, aber dann bauen wir eben wieder massiver, um Klimaziele zu erreichen. Aber was ist mit den Leitungen, insbesondere Elektrokabel? Womit sollten die künftig isoliert werden? Aber welcher Kunststoffmuffel braucht schon Elektrizität. Schließlich sind – siehe oben – Smartphone und Konsorten schon nicht mehr im Haus. Auch kein Telefon, kein Kühlschrank, keine Waschmaschine. Zum Heizen und kochen kann man einen altmodischen Ofen benutzen. Gas könnte auch schon wieder schwierig werden, irgendwo ist bestimmt Kunststoff dran.

Und so kann man weiter überlegen. Kunststoff/Plastik ist in unserem Leben allgegenwärtig und nicht mehr wegzudenken. Ein Ruf nach einem Kunststoffboykott ist daher ziemlich sinnfrei. Was man hingegen durchaus in Frage stellen kann, ist die Menge an Plastikmüll. Verbrauchsmaterialien und Einmalverpackungen gehören durchaus auf den Prüfstand und weniger To-Go-Produkte täten in vielerlei Hinsicht gut. Weniger Müll auf den Straßen und letztlich in den Meeren wäre wirklich viel wert. Wir müssen dann allerdings auch hinnehmen, dass darüber Firmen Pleite gehen und Menschen ihre Arbeit verlieren könnten. Wenn Staudinger gewusst hätte, was für komplexe Probleme er mit seinen Thesen heraufbeschwören würde, hätte er vielleicht die Finger davon gelassen. Aber ich bin sicher, dann wäre es jemand anders gewesen, dessen Jahrestag wir irgendwann begehen. Ideen lassen sich nicht aufhalten. Ob das gut ist oder schlecht, liegt letztlich in unserer aller Hand.

Es war einmal wieder Zeit für die Material Chemistry (MC) Konferenz, die 14. dieses Namens. Die Aston University in Birmingham war im Juli Gastgeber der Veranstaltung.

Die Materialchemie ist ein weites Feld. Es reicht von Materialien für Energievorrichtungen bis hin zu Polymeren, von biologischen bis hin zu rein theoretischen Anwendungen. Neben den Plenarvorträgen gab es vier parallele Sitzungen, und es war nicht immer einfach für mich zu entscheiden, was für mich von Interesse sein könnte.

Offensichtlich ist das „In“-Material im Moment Perowskit. Perowskit ist ein seit langem bekanntes Mineral (entdeckt 1839), das die Elemente Barium, Titan und Sauerstoff in einer bestimmten Anordnung enthält. Alle diese Elemente können ersetzt werden, und wenn die Verhältnisse eingehalten werden, werden Materialien mit der gleichen Struktur erhalten, aber mit einem überraschenden Spektrum an Eigenschaften. Diese können beispielsweise als Kondensatoren, Supraleiter, in LEDs und seit kurzem auch in der Post-Silizium-Solarzellentechnologie eingesetzt werden.

Ein sehr faszinierender Vortrag betraf das Lösen von Klebstoffen. Das heißt, einen Klebstoff zu erfinden, der sich durch einen Auslöser, eine Chemikalie oder etwas anderes wie Ultraschall, zersetzt und die durch diesen Klebstoff miteinander verbundenen Teile freisetzt. Stellen Sie sich ein Smartphone vor, das mit diesem Klebstoff ausgestattet ist. Nachdem es sein Lebensende erreicht hat, benutzt man einfach diesen Auslöser und das ganze Ding fällt auseinander. Dadurch können die verschiedenen Baueinheiten leicht getrennt und leichter recycelt werden.

Eines meiner Hauptinteressen – zumindest im Moment – sind medizinische Anwendungen. Ein Thema sind Hydrogele, das sind Netzwerke aus hydrophilen Polymeren. Sie können für die Wirkstoffabgabe oder das Tissue Engineering eingesetzt werden. Ein weiteres aufkommendes Thema ist der 3D-Druck von Implantaten und so weiter. So können Ersatzstoffe für Knorpel, Zähne oder Knochen gedruckt werden. Es gibt aber auch biologisch abbaubare Materialien, die in Wunden eingesetzt werden und die Heilung begünstigen. Sie sind „Ankerpunkte“ für biologische Materialien, die entlang des Implantats wachsen und schließlich die Wunde schließen, während das ursprüngliche Implantat abgebaut wird. Die Ideen gehen noch weiter: das Drucken ganzer Organe, zum Beispiel eines Herzens. Die Drucktechnologie ist ziemlich weit fortgeschritten, aber die Materialien für medizinische Anwendungen bedürfen noch der Entwicklung – und natürlich der Zulassung durch die FDA und andere Aufsichtsbehörden.

Noch ein Thema ist natürlich die Energie. Obwohl Lithium-Ionen-Batterien heute Stand der Technik sind, gibt es noch viele Fragen zu beantworten und Probleme zu lösen. Ein Vortrag betraf beispielsweise eine Studie zur Elektrodenherstellung für LIBs. Die Herstellung von LIBs ist ein langer Prozess und ein Schritt ist ein Formationsprozess, der mehrere Wochen dauert! Die Forschungsgruppe untersuchte die verschiedenen Schritte und versuchte, den gesamten Prozess zu verkürzen. Aber obwohl einige faszinierende Ideen präsentiert wurden, wird deren Umsetzung in den aktuellen Prozessen noch lange auf sich warten lassen. Wie schade.

Es gab noch viele andere Themen und ich habe sicherlich einiges Interessantes verpasst. Aber alles in allem habe ich viel gelernt und es war eine inspirierende Veranstaltung, die zeigte, dass die Chemie im Zentrum für die Lösung vieler der Probleme steht, mit denen die Welt heute konfrontiert ist.

Das Jahr ist noch jung. Aber schon sind erste Fortbildungen geplant. Und zwar sowohl für die fachliche, sprich chemische wie auch die arbeitstechnische Seite.

Im Februar veranstaltet der Verband Aticom ein Seminar zum Post-Editing. Zugegebenermaßen ist das nicht ein Lieblingsthema. Für Nichteingeweihte: Post-Editing bedeutet, eine Maschinenübersetzung „lesbar“ zu machen bzw. zu korrigieren. Das erfordert ganz andere Vorgehensweise als ein Lektorat – offensichtlich. Nach dem Seminar werde ich mehr wissen. Vielleicht ist die ein oder andere Vorgehensweise ja auch für das Korrekturlesen meiner Übersetzungen interessant. Allerdings macht mir die bloße Korrektur fremder Übersetzungen eigentlich keinen Spaß. Ein Pluspunkt meiner Übersetzertätigkeit ist der kreative Umgang mit Sprache, der selbst bei Patenten noch stattfindet. Ich mag eigentlich nicht der Dienstbote für irgendwelche Maschinen werden. Aber der Markt ändert sich schnell. Maschinelle Übersetzungen werden so schnell besser, dass mir ganz mulmig wird. Sicher, vieles funktioniert immer noch nicht gut. Aber diese Übersetzungen sind bereits besser, als ich es zu diesem Zeitpunkt erwartet hätte. So muss vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft ein weiteres Standbein her. So oder so ist es nicht verkehrt, sich mit dieser Möglichkeit zu befassen. Wir wissen alle: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

Und in der Chemie?

Im März steht dann wie jedes Jahr eine informelle Chemikertagung im Bereich Festkörper- und Materialchemie statt. Dabei gibt es kurze, knackige Vorträge – so etwa 5 bis 7 pro 90 min – mit intensiven Diskussionen und alles ganz brandaktuelle Forschung. Es ist schon faszinierend, was sich seit den Tagen meiner Doktorarbeit so alles getan hat und tut.